Hier das "ärztliche Bulletin"

Nierenkolik im deutschen Gesundheitswesen

 

Nach dem ersten Januar-Vollmond passierte mir folgende Geschichte:

 

Voller Vorfreude bin ich am Sonntag nach Vollmond der Essenseinladung meiner lieben Freunde gefolgt. Es gab ein zartes Cordon Bleu mit Gemüse und Kartoffeln.

 

Kurz nach dem äußerst leckeren Essen bemerkte ich irgend einen undefinierbaren Schmerz in der Rückenregion, den ich anfangs gekonnt ignorieren konnte.

 

'Was soll das denn werden', dachte ich mir noch und verschwendete einen kurzen Gedanken an eine Nierenkolik, deren Symptomatik ich leider bereits kannte. Nun denn, nach kurzer Schmerzflaute stand ich vom Tisch auf und bewegte mich den Flur auf und ab, in der Hoffnung, da sitzt nur das letzte Stück Gemüse quer.

 

Die Kolik

 

Irrtum, wie sich Sekunden später herausstellte. Jeder, der Nierenkoliken kennt, kann nachfolgendes wahrscheinlich bestätigen. Plötzlich drehte sich ein unsichtbares Messer in meine linke Flanke und bohrte in der Nierengegend umher um sich schließlich nach oben, nach unten und links und rechts auszubreiten...

 

Meine Atmung wurde kürzer und stoßartiger. Nachdem ich einen Schweißausbruch nicht mehr unsichtbar machen konnte, polterte ich meinen aufgeregten Freunden entgegen: "Mädels, es sieht so aus, als ob ich ein Kind kriege, und zwar eins aus Stein, was soviel heißt wie aaaaaaaaaaaaaauuuu, das ist eine verdammte Nierenkolik". Sprachs aus und stöhnte mich durch die Wohnung. Meine Freunde fragten mich, was sie tun könnten, wie sie mir helfen könnten, was ich denn brauche....

 

In diesen Situationen, wo das Fühlen die Herrschaft über das Denken übernimmt, gibt es keine rationalen Antworten mehr. In einer medizinischen Skala der Schmerzlehre gibt es die Stufen 1 bis 9. Mitten in einer Kolik steht die Skala auf 8. Die nächste Stufe ist dann  die schmerzfreie Bewußtlosigkeit.

In Stufe 8 ist kein Denken mehr möglich, da wird nur noch: "Au, uff, oooooh, aaaaah, Lieber Gott hilf mir, Jesus, Aaaaaaaau, Maria, Wo bleibt der Krankenwagen" gestammelt und das wars dann auch schon.

 

Erste Hilfe

 

Gut, so war es denn dann auch. Ich stammelte also meine eben beschriebenen Worte und schickte ungefähr 320 Stoßgebete gen Himmel, um dann, in Stufe 8,5 endlich dem eintreffenden Notarzt vor die Füße zu fallen und um die Zaubermittel der Pharmaindustrie zu bitten, die die Skala wieder runterfahren können.

 

Der Notarzt aber schien mir etwas überfordert oder sagen wir mal: 'nicht geübt' im Umgang mit Nierensteinen zu sein. Irgendwie hatte ich das Gefühl, er wüßte nicht, was er mir noch in den gelegten Zugang spritzen könnte, damit ich nicht mehr: Aaaaah, Hilfe, Schei.... und weitere unanständige Dinge schreie. Schließlich kam mein Liebling zum Einsatz, es heißt Dipidolor, unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz, ist aus der Familie der Morphine und wird bei mäßigen bis starken Schmerzen in der Akutmedizin und Palliativtherapie eingesetzt.

 

Muss ich noch mehr sagen???

 

Zweite Hilfe Krankenhaus

 

Jedenfalls hatte ich, nach Verabreichung dieser Dinge und der Unterstützung der Sanitäter den Weg torkelnd in den Rettungwagen gefunden, wurde warm eingepackt und fuhr schließlich liegend, voll wie 10 Wiesnbesucher und angeschnallt ins nächste Stadtspital mit echter Urologischer Abteilung.

Dort angekommen wurde ich dann erst mal nach guter alter "Ulla Schmidt Manier" begrüßt:

"Guten Tag, wo sind sie versichert?"

 

Der Gesichtsausdruck, als ich "AOK" sagte, grenzte fast schon an Diskriminierung. Vielleicht sollte ich mit Philipp Rösler mal einen grünen Tee trinken...

 

Immer noch im Dipi-Rausch wurde ich "verarztet" und schließlich durfte ich mein Doppelzimmer mit Parkblick und Vollpension für 10 Euro die Nacht beziehen. Den nachmittäglichen Ausblick konnte ich nicht allzuviel abgewinnen, denn kurz nachdem ich mein Willkommenscocktail, bestehend aus 1 Liter tutofusin, 3 buscopan und 1 novalgin intravenös verabreicht bekam, meldete sich "Diamante" (So nannte ich ihn ab sofort)wieder um die Herrschaft zu übernehmen.  Von diesen nicht lustigen Koliken bekam ich noch 2 am Abend und 3 in der Nacht, was darauf schließen läßt, das mit Nachtruhe nicht viel los war :-(  

 

Dafür bekam ich noch 3 weitere Cocktails, einen kurzen dazwischen und zum Frühstück dann ganz was leckeres, worauf mir K - übel wurde. 

Lächeln, dank Pharmaindustrie

 

So wie auf dem Bild sieht man also in die Kamera, wenn man einen Vollrausch ohne Alkoholische Getränke hat. Das Bild - ich kann mich nicht mehr erinnern - muss wohl irgendwann zwischen 2 Koliken am 1.ten Tag aufgenommen worden sein.

 

Einen Tag und 7 Koliken später sah das ganze schon anders aus, da hab ich nicht mehr gelächelt. Nach Aufklärung der Vorgehensweise meines Urologen - übrigens ein klasse Arzt - hab ich dann erstmal spontan die operativen Eingriffe abgelehnt. Nachdem das auf dem Informationsblatt schon sehr bedrohlich aussah, dachte mein Kleinhirn als erstes: Das alles soll Dir jetzt in den Unterleib eingebaut werden - NIEMALS -

 

Meine früheren Nierensteine kamen auch alle auf natürliche Art und Weise zur Welt, wird der es wohl auch schaffen, oder?

 

Nein, meinte mein Urologe, der ist zu groß, der kommt da ned rein bzw. raus. Wir (wer noch alles?) gehen da rein und holen ihn, legen eine sogenannte Schiene zwischen Niere und Blase und dann kann der Harn und eventuelle Restfelsen ungehindert abfliessen.

 

Ich liebe Optimisten, gerade in schwierigen Zeiten.  Also lehnte ich nochmals ab und erbat mir 24 Stunden Bedenkzeit.

Die Geburt

 

Weitere 4 Koliken später sagte ich zu meinem Doc: "Bringen Sie mir alles, was ich unterschreiben muss, ich muss den Stein loswerden, ich halte das nicht mehr aus".

 

Ich habe dann 2, 3 oder sogar 4 mal unterschreiben. Wenn ich auf der nächsten Kreditkartenabrechnung einen Flatscreen, neue Winterreifen für einen Porsche und eine Home-Stereoanlage wiederfinde, weiß ich, dass ich auf den falschen Papieren unterschreiben habe...

 

Die Geburt war übelster Art. Das einzig Lustige war die Anästhäsie. Die Narkosekunde ist schon eine interessante Welt, muss ich neidvoll zugeben. Eine Spinalanästhäsie trennt den Körper in zwei Hälften. Die Obere gehörte mir, die Untere war irgend jemand anderes, jedenfalls nicht mehr meine.

In diese Hälfte wurden dann mittels zahlloser Gerätschaften diese sogenannte Schiene oder J-Schlauch eingebaut und ein praktischer Blasenkatheter, der den Gang zum WC erspart. Denn ohne Unterleib kann man schlecht gehen. Die Beine wachen erst 8-12 Stunden später wieder auf. Meine juckten dabei, als ob ich in Brennesseln übernachtet hätte.

Diamante IV

 

Ich freue mich, die Geburt von "Diamante, dem 4.ten" mittels Kaiserschnitt bekannt geben zu dürfen. Der kleine Dicke erblickte am Dienstag, den 5.1.2010 gegen Mittag durch einen Schlauch, eine Sonde, eine Zange und eine Harnröhre schließlich das OP Licht der Welt.

 

Die Geburtsfeierlichkeiten finden nach der Genesung im Sommer statt - gleich mit der Taufe.

Schön, endlich keine Koliken mehr, endlich scheint alles überstanden zu sein!

 

Moment mal, scheint ?!

Ja, scheint! Denn jetzt fingen andere Probleme an. Diese sogenannte J-Schiene vertragen nur 95 Prozent der Patienten.

Ich hatte das seltene Glück, zu den restlichen 5 zu gehören, die dieses Ding partout nicht vertragen und jedes mal beim Wasser lassen überlegen, ob ihnen jetzt der Kreislauf wegsackt oder die Blase explodiert. Gottseidank ist letzteres nicht geschehen, nur mein Kreislauf ist in einen Rundumlauf geraten und produzierte genügend Schweißausbrüche zur Kühlung. Allerdings war für meinen Teil unwiederruflich klar:

 

Dieses Ding muss wieder raus aus meinem Körper.

 

Überredungskunst

 

Viel Überredungskunst musste ich nicht anwenden, vermutlich sah man mir an, dass ich schlicht und einfach leide. Mein Urologe hatte dann doch wohl das Gejammer dicke und entschied sich, den sogenannte Splint wieder zu entfernen.

 

Irrigerweise ging ich davon aus, das dieses Plastikteil wieder in Halbnarkose entfernt werden würde. Weit gefehlt. Bei vollem Bewusstsein wurde die halbe Werkstatt wieder aufgefahren, um dieses kleine vermalledeite Plastiktrum wieder aus meinen Innereien zu extrahieren. Während des Eingriffes packte ich die OP Schwester am Rocksaum, worauf sie mich mitleidig anlächelte und mir zuhauchte: "Entspannen sie sich einfach....", was ich erwiederte mit: " Wir können ja Plätze tauschen!" Worauf sie weiter lächelte.

 

Ja ja, mit mir könnt Ihr's ja machen, dachte ich mir so, stöhnte und meinte dann zu Mr.Dr. Ober-Urologe: "Das war ja gar nicht lustig, und dabei soll es Leute geben, die sowas auch noch genießen, aber Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, haben Sie wenigstens Ihren Spaß dabei gehabt, was?".

 

"Na klar, was meinen Sie, welche SM Partys ab 19:30 hier ablaufen", sagte er zu mir und grinste dabei wie ein frisch geschlüpfter Maikäfer.

 

"Mit Halbnarkose würd ich Ihnen sogar das glauben", sagte ich und war heilfroh, dass alles vorbei war. Fast alles.

Schmerzen, die II.te

 

Nachts darauf hatte ich wieder äußerst heftige Schmerzen, im Bauch, im Rücken, in der Blase.

Als ich im Bett kniete, kam auch noch der Pfleger des Weges vorbei um die morgendliche Tablettendosis zu verteilen. Er schaute mich an wie braunes Fleckvieh und fragte:

"Alles in Ordnung?", worauf ich leise, aber bestimmt sagte: "Nein, ich schlafe immer im knien". Er meinte dann daraufhin: "Wenn Sie nicht Wasser lassen können, muss ich Ihnen einen Katheter legen". Oh, das böse K-Wort ist gefallen.

 

Kurz vorm ausrasten erklärte ich ihm, dass das nicht nötig sei und falls er dies doch durchziehen will, wird er dieses Teil um seinen Hals wiederfinden, und zwar zugeschnürt.

 

"Deshalb müssen Sie nicht aggressiv werden", meinte er und schwebte von dannen um mit einer Dosis Novalgin wieder zu erscheinen. Die kippte ich mir hinter die Binde und erwachte kurze Zeit später, noch total benebelt, als eine Stimme zu mir sagte: "Sofort aufstehen". Oh Gott, ich dachte, die Grünen stehen da und verhaften mich nun, weil ich den Pfleger ermordet habe.

 

Schlaftrunken fragte ich: "Wieso, werd ich jetzt verhaftet?".

"Nein, wir wollen Betten machen", sagte der Pfleger. "Und wie gehts dem Nachtpfleger?" fragte ich". "Warum?" kam die Gegenfrage. "Na, ich glaub, ich hab ihn umgebracht", sagte ich, noch immer nicht ganz wach, worauf der Pfleger schallend lachte und meinte: "Na dafür ist er aber gut zu Fuß unterwegs nach Hause, als ich ihn vor ner halben Stunde verabschiedet habe".

 

War ich froh, nichts angestellt zu haben und fühlte mich wie ein unschuldiges Kälbchen mit Bauchweh. Hauptsache alle leben noch.

 

Rösler anrufen

 

Was dann, 5 Stunden später passierte, hatte mit den Nierensteinchen nicht das geringste zu tun, veranlasste mich aber, darüber nachzudenken, Philipp Rösler anzurufen und mal nachzufragen, ob das Gesundheitswesen nicht auch schon eine Nierenkolik hat.

 

Am späten Vormittag kamen 2 Reinigungskräfte in mein Doppelzimmer mit Vollpension und Bergblick, scheinbar um das Nachbarbett abzuholen, da mein Zimmergenosse aufgrund Gesundheit entlassen wurde.

 

Eigentlich dachte ich, werden benutzte Betten abgeholt, desinfiziert oder gekocht und gewaschen, was weiß ich, und dann "rein" wieder auf die Station gerollt. Aber so dachte ich nur. Denn die beiden putzen den Nachttisch ab, leerten den Staub des Schubladens auf's Bett, zogen es ab, putzten die Matratze ein bisschen ab und bezogen die Bettdecke mit neuem Bezug, ebenso das Kopfkissen, hüllten das ganze wie Christo in eine große Plastikplane ein, die sie unter der Matratze hervorzauberten und wollten gehen. Ich fragte ganz verdutzt: "Äh, wird die Bettdecke nicht gewaschen?"

"Nein, nein, warum, kostet viel Geld. Waschen nur wenn tot", sagte der Pfleger zu mir und setzte noch dazu. "Warum du hier schlafen? Matratzte scheisse. Du gehen privat, kostet 100 Euro, Matratzte viel besser und essen und Fernseher ganze Tag!"

 

Mir fiel nix mehr ein, nur dass die Kassen Milliarden Defizite machen, obwohl die Betten nicht mehr gereinigt werden?? 

 

Vielleicht sollt ich doch mal mit Herrn Rösler Tee trinken, oder ein Weißbier. Gut für die Nierchen.